Bah!
Ich esse das auf gar keinen Fall!
Eklig, Gemüse!
Wie viele Löffel muss ich denn noch?
Es war, ist und wird ein immer wiederkehrendes Thema bei uns sein: das Essverhalten unserer Kinder und die damit einhergehenden Diskussionen am Esstisch. Wenn es sich nicht gerade um eines ihrer Lieblingsessen wie Pizza, Nudeln mit Thunfischsauce oder Kartoffelpüree handelt, ist immer mindestens einer dabei, der sich essenstechnisch quer stellt.
Ich gehe sehr, sehr stark davon aus, dass dies nicht nur bei uns zu Hause der Fall ist. Anna und ich haben schon öfters über diese Situationen gesprochen – mal mit einem eher humorvollen Hintergrund, mal mit einem ernsten, fast besorgten Hintergrund. Denn die Kinder können doch nicht immer nur süß essen oder sich ausschließlich von Kartoffeln ernähren. Gut, dies ist etwas überspitzt ausgedrückt, aber es gibt Phasen, da bleibt genau dieser Eindruck zurück.
So stellen wir uns die Fragen: Warum essen Kinder kein Gemüse? Warum sind sie so wählerisch in ihrer Essenswahl? Und wie um alles in der Welt, können wir dies ändern und sie von gesundem Essen überzeugen?
Ruhig bleiben
Das Fazit unserer Gespräche ist meistens, lass uns einfach ruhig bleiben, abwarten und den Dingen ihren Lauf lassen. Denn wir waren wohl alle so. Mal etwas mehr, mal etwas weniger ausgeprägt. Auch wenn dies keine bahnbrechende Einstellung und ultimative Lösung für diese Situationen ist, die Gespräche helfen – in erster Linie uns als Eltern. Einfach mal Gedanken loswerden, über Ideen spekulieren und mögliche Ansätze zur Verbesserung der Situation durchdenken.
Neuste Erkenntnisse
Was ebenfalls geholfen hat, ist eine Erkenntnis, die uns erst vor kurzem erreicht hat.
Die Evolution höchst persönlich hat bei den Essgewohnheiten der Kinder ihre Finger mit im Spiel. Wer hätte das gedacht?!
Die letzten Jahrhunderte, Jahrzehnte oder sogar auch nur einzelne Jahre haben drastische Änderungen für unsere Gesellschaft und Lebensweise hervorgebracht. Die menschliche Geschichte, also unser aller Evolution, ist aber bereits ein paar Jährchen älter und so leicht lässt sich tief verankertes nicht umgehen. Sprich hier treffen moderne Lebensverhältnisse direkt auf Urinstinkte.
Durch die Evolution haben wir die folgenden Regeln mitbekommen, nach denen vor allem (Klein-)Kinder essen:
- Fokus auf Süßes und Fettiges, gut verträglich und nahrhaft – zur Überlebenssicherung
- Wie viele Löffel muss ich denn noch?orsicht vor Neuem – könnte giftig sein
- Wenn du was probierst dann nur ein ganz kleines bisschen – könnte giftig sein
- Iss was deine Vorbilder essen – wird dann schon nicht giftig sein
- Meide Essen von dem dir irgendwann mal schlecht geworden ist – war vielleicht doch was giftig
Die Angst vor Neuem ist dabei das zentrale Element. Diese Angst ist im frühen Kindesalter kaum vorhanden, hat ihren Höhepunkt im Kindergartenalter und ebbt in der Regel im Alter zwischen 8-11 Jahren ab.
Aber woher kommt das?
Eigentlich logisch, wenn man mal drüber nachdenkt. Blicken wir mal ein paar Jahre zurück…naja ein paar Jahrhunderte oder gar Jahrtausende. Als Baby verbringt ein Kind, die meiste Zeit bei seiner Mutter auf dem Arm und bekommt die beste Nahrung, die es für dieses Alter gibt: Muttermilch. Was schlechtes oder gar giftiges Essen angeht, besteht hier keine Gefahr. In den Jahren danach bleibt das Kind erst einmal in Mamas Nähe, die natürlich ein Auge auf alles hat, was das Kleine in den Mund nimmt. Immer noch keine Gefahr in Sicht. Danach wird es mobil, erkundet die Welt auf eigenen Füßen, auch mal ohne Mama an der Seite, und genau hier braucht der Körper nun einen eigenem Schutzmechanismus: Et voilà, die Angst vor dem Neuen!
So wird instinktiv Saures (Indikator für Verdorbenes) und Bitteres (Indikator für Giftiges) abgelehnt. Der Fokus liegt auf Süßem (voller Energie) und fettigem (gut zum Anlegen eines Polsters für Notzeiten). Wenn Kinder in der menschlichen Geschichte einfach alles gegessen hätten, was ihnen unterkommt, wäre die Menschheit wohl irgendwo auf dem Wege ausgestorben.
Das dies alles nicht mehr nötig ist, kommt nur sehr langsam in unserem Erbgut an. Versuch mal der Evolution zu verklickern, dass Babies heutzutage direkt neben einem prall gefüllten Kühlschrank groß werden, in dem (in der Regel) ganz bestimmt nichts Giftiges lagert. Das braucht Zeit sag ich euch…Jetzt erst recht ruhig bleiben
Mit dem Wissen, wo die Ursprünge über das Essverhalten der Kinder liegen, darf man sich doch erlauben, sich etwas mehr zu entspannen und zurückzulehnen. Nun heißt es also erst recht ruhig bleiben in diesen tatsächlich völlig normalen Situationen am Esstisch. Denn was kann man schon groß gegen die menschliche Evolution ausrichten? Aber – habt ihr etwa gedacht ihr seid hier komplett fein raus?! – die Herausforderung für uns als Eltern liegt darin, einen brauchbaren Kompromiss zwischen Evolution und aktuellem Lebensstandard zu finden, um unsere Liebsten auf den richtigen Weg zu bringen.
Am Esstisch werden Vorbilder gebraucht – und Geduld
Seid euren Kindern ein Vorbild. Vor allem von uns (und ihren Geschwistern) schauen sie sich ab, was sie sich selbst dann irgendwann genüsslich in den Mund stecken. Nicht mit Zwang, nicht mit Drohungen, sondern mit vorgelebtem leckerem Appetit können wir unsere Kinder zu einer gewissen Neugier bringen. Natürlich braucht es Geduld. Für einen Erfolg, sollte dabei das zunächst abgelehnte Essen immer wieder angeboten oder gar vorgesetzt werden.
Psst, schau mal, sie essen es!
Und nun mal Tacheles: ich spreche hier nicht nur von bloßer Theorie. In unserer Patchwork-Familie können wir schon das ein oder andere positive Erlebnisse verbuchen, was dem ganzen Vorhergegangenem recht gibt.
Jeden Morgen wird bei uns frisches, heißes Ingwerwasser aufgesetzt. Jeden, einzelnen Morgen. (Naja. fast jeden einzelnen Morgen. Aber so wirkt die Dramaturgie besser.) Und natürlich haben wir auch den Jungs ein Glas auf den Frühstückstisch gestellt. Jeden einzelnen Morgen. (…naja, ihr wisst schon…) Dabei haben wir ihnen ebenfalls erklärt, was Ingwer für tolle Kräfte hat und was es tolles mit unserem Körper macht. Es hat gedauert. Tage. Vielleicht sogar Wochen. Aber eines Tages haben sie angefangen es zu trinken, bis hin zu einer Phase wo es gar nicht mehr ohne ging.
Ganz ähnlich ist es mit dem Fisch gelaufen. War in der Vergangenheit nur Fischstäbchen auf den Tellern willkommen, so sind diese nahezu ganz aus unserem Repertoire verschwunden und frisches gebratenes Seelachs-Filet hat Einzug erhalten.
Und auf ähnlichem Wege hat auch der Spinat seinen Weg auf die Teller und dadurch in die Bäuche all unserer Jungs gefunden. Spinat!
Eine letzte gute Frage
Ein paar von euch, mögen beim Lesen dieses Artikels auf folgende Frage gekommen sein: wenn doch die Evolution ihre Finger im Spiel hat, wieso haben wir keinen besseren Essensradar in unseren Genen verankert?
Das Problem ist die große Auswahl. Als Allesfresser ist es schlicht und einfach zu komplex, alles, was wir essen dürfen, in die Gene zu packen und weiterzuvererben. Daher muss jeder einzelne Mensch durch den gleichen Lernprozess zu Beginn seines Lebens und sich diese Art Wissen selbst aneignen.
Wir werden natürlich weiter berichten, was sich bei den Essgewohnheiten unsere Kinder so ergibt und hoffen auch auf eure Erfahrungsberichte und Tipps und Tricks rund um das Thema Essen für Kinder.
Die Quelle
Natürlich spielt in erster Linie unsere eigene Erfahrung in diesen Artikel mit rein. Seit neustem ist auch das Buch Kinder verstehen. Born to be wild: Wie die Evolution unsere Kinder prägt. von Herbert Renz-Polster ein Teil unserer Erfahrung geworden und hat uns sehr inspiriert. Es ist eine hochinteressante Quelle und eine Art Bestätigung für ein Gefühl und Gedanken die Anna und ich bereits vorher hatten. Viele Teile dieses Artikels basieren auf Ausführungen aus “Kinder verstehen”.
An dieser Stelle auch Dankeschön an meine Familie, die uns dieses Buch als Geschenk zur Geburt unseres Jüngsten gemacht haben.
One Reply to “Kindererziehung: Wenn die Evolution mit am Esstisch sitzt”